12. ARTIKEL: DENKEN - ERWEITERUNG UNSERER KOMPETENZ


 von Regine Reichwein

 

 

Selbstorganisierende Systeme, wie auch unser Gehirn eines ist, arbeiten sehr ökonomisch mit einem Minimum an Energie. Das ist einer der Gründe, weshalb wir Menschen Rituale und Muster bevorzugen, sie ersparen uns das Nachdenken. (Lesen Sie dazu auch: BLOGARTIKEL 14: SELBST­OR­GA­NI­SATION)

 

Das Dumme ist nur, wir merken oft nicht, dass wir uns einfach  ohne Nachdenken auf der Grundlage unserer gelernten Muster verhalten. Es scheint so zu sein, dass wir, wann immer wir spontan reden und handeln, nicht nachdenken. Es braucht jeweils eine bewusste Entscheidung, um sich in den Modus des Nachdenkens zu versetzen.

 

Daniel Kahneman schreibt in diesem Zusammenhang vom schnellen und langsamen Denken und zitiert andere Wissenschaftler, die von den Systemen 1 und 2 sprechen, um den Unterschied zwischen den Prozessen des spontanen Denkens und denen des Nachdenkens deutlich zu machen.

Literaturhinweis: SCHNELLES DENKEN - LANGSAMES DENKEN von Daniel Kahneman, Siedler Verlag, 2012, Leseprobe.

 

Zu der Bevorzugung des spontanen Reagierens ohne Nachdenken in Bezug auf die Erfordernisse des Alltags kommt noch zusätzlich, dass sich unser Gehirn nicht gern mit Neuem auseinandersetzt. Sich auf Neues einzulassen, kann gefährlich sein und könnte sich theoretisch negativ auf unser Überleben auswirken.

 

Unser Gehirn hat sogar die Fähigkeit, für uns „Neues“ aus unserer Wahrnehmung auszugrenzen oder in uns Bekanntes umzuwandeln, so dass uns die Begegnung mit etwas „Neuem“, mit dem wir uns auseinandersetzen sollten, nicht auf eine Weise auffällt, so dass wir es tatsächlich tun.

 

Diese beiden Ergebnisse der Hirnforschung – die Bevorzugung des spontanen Reagierens ohne Nachdenken und die Tendenz, „Neues“ möglichst zu vermeiden – spielen eine große Rolle in unserem alltäglichen Miteinander und führen sehr häufig zu kleineren oder größeren Konflikten mit anderen Menschen.

 

Wir wollen daher oft nicht wahrhaben, dass jeder Mensch in seiner eigenen Wirklichkeit lebt, stattdessen gehen wir all zu leicht davon aus, dass unsere Phantasien über die inneren Prozesse der anderen zutreffend sind. Wir machen uns die Welt dadurch vermeintlich „bekannt“, dass wir versuchen, andere Menschen als uns ähnlich anzusehen. Aber die Wirklichkeiten der anderen weichen von unserer eigenen ab und sind insofern prinzipiell unbekannt und gleichzeitig ständig neu für uns. Wir können nur beim Gegenüber nachfragen.

 

 

    Es ist sehr wichtig für die Entwicklung in unserer Gesellschaft, dass wir uns die Tendenz unseres Gehirns, uns die Welt zu vereinfachen, bewusst machen. Denn diese Tendenz haben auch unsere Mitmenschen und es gibt eine große Versuchung durch den sogenannten Konformitätsdruck, uns den selbstgemachten oder vorgefertigten Vereinfachungen anzuschließen.

 

 

Es gibt eine Reihe von Untersuchungen in Bezug auf diese Vorlieben unseres Gehirns, uns mit verschiedenen Prozessen einen Eindruck von Sicherheit zu vermitteln und uns vor realen und vermeintlichen Gefahren zu schützen.

 

Unser Gehirn versucht stets, unser Überleben zu sichern und uns zu ermöglichen, in jeder Situation schnell und effektiv zu handeln, indem es uns die „Welt“ in ihren verschiedenen Erscheinungsformen so einfach wie möglich macht.

 

Unsere Welt aber ist sehr komplex und es ist daher wichtig, diese Vereinfachungstendenz stets mit zu bedenken und bei einem Problem nicht gleich die erstbeste Lösung zu akzeptieren, mit der unser Gehirn uns versucht abzuspeisen, sondern noch einmal bewusst nachzudenken.

 

Leider kommt es durch diese Tendenz auch zu erheblichen Verzerrungen, Leugnungen, Verdrängungen und Illusionen, die von uns ohne weitere Zweifel für „wahr“ gehalten werden.

 

    Erst wenn wir diese Aktivitäten unseres Gehirn kennen und bewusst mit Hilfe unseres Nachdenkens berücksichtigen, können wir uns davor schützen, dass uns unser Gehirn mit vorgefertigten Informationen abspeist und uns damit neue und kreative Möglichkeiten des Lebens und Handelns vorenthält.

 

 

Nur lehren wir unsere Kinder und Jugendlichen nicht, auf wie viele Arten und Weisen man denken kann, um sich „Welt“ anzueignen. Neben induktivem, deduktivem, konvergenten, divergenten, analogen, analysierenden, synthetisierenden, strukturierenden Denkprozessen gibt es noch weitere Varianten, wie z. B. ergebnisorientiertes und prozessorientiertes Denken. Alle diese Denkarten werden für kreative Problemlösungen gleichzeitig gebraucht, einmal ist eher die eine und dann wieder die andere während des Fortschreitens des Denkprozesses im Vordergrund. Es ist wichtig, dass sie gegenseitig ausbalanciert sind und uns möglichst alle zur Verfügung stehen. Dazu ist allerdings notwendig, dass man die einzelnen Denkarten kennt und das ist meiner Ansicht nach keineswegs der Fall.

 

Aber Vertreter der verschiedensten Ausbildungsstätten gehen häufig davon aus, dass sich die komplexen Prozesse der verschiedenen Arten des Denkens sich einfach beim Denken vermitteln und dass es keinerlei zusätzliche Schulung in den dazu notwendigen Prozessen braucht.

 

Nur werden leider – ebenfalls aus kulturellen Gründen – in unserer Gesellschaft bestimmte Denkarten bevorzugt. So überwiegt induktives, konvergentes und ergebnisorientiertes Denken, so dass es keine Balance zwischen diesen und den anderen Denkarten gibt.

 

Aber wir können alle unsere potenziellen Denkfähigkeiten gut gebrauchen, um mit den Problemen unseres täglichen Lebens konstruktiv umgehen zu können.

Aber noch entscheidender scheint mir zu sein, dass es bisher keine reguläre Einübung darin gibt, den Modus des spontanen Reagierens regelmäßig durch den Modus des Denkens zu ergänzen. Aber das muss niemanden daran hindern, sich selbst darin zu üben.

 

Denn dies ist wichtig, wenn wir lernen wollen, mit unseren Gefühlen dadurch angemessen umzugehen, dass wir die darin enthaltenen Botschaften entschlüsseln und nicht mehr nur auf der Grundlage unserer Muster spontan – ohne Nachdenken – reagieren. Solange wir nicht über den Informationsgehalt unserer Gefühle nachdenken, werden wir sie weiter einfach an unseren Mitmenschen auslassen. Wie destruktiv sich das auswirken kann, können wir täglich durch die Medien erfahren.
In gewisser Weise haben wir die Wahl. Wir können einerseits nach wie vor unsere Gefühle einfach an anderen auslassen oder unreflektiert an ihnen leiden und uns als Opfer der anderen fühlen. Das ist das, was wir gewohnt sind, was einfach für uns ist und was uns keine zusätzlichen Anstrengungen kostet. Es ist auch das, was unser Gehirn zunächst einmal bevorzugt würde, weil es die geringste Energie kostet und daher am ökonomischsten ist.

 

Wir können aber auch andererseits kurz- und langfristig dafür sorgen, mit Hilfe unseres Denkens sowohl den Informationsgehalt unserer Gefühle herausfinden, als auch die auf den gelernten Mustern beruhenden spontanen Reaktionen noch einmal überdenken.

 

Letzteres ist schwierig, wir brauchen dafür Mut und Kreativität und die Entscheidung, die Anstrengung des Nachdenkens auf uns zu nehmen.

 

 

©Autorenrechte Regine Reichwein

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